...hielt den Wagen von Rennlegende Fangio in Schuss
Das Raketle zündet auch noch ohne die Silberpfeile Exakt 50 Jahre ist's her, da schrieben die legendären Silberpfeile von Mercedes Rennsportgeschichte. Der fünfmalige Formel-1-Weltmeister Juan Manuel Fango holte 1954 und 1955 den Titel für die Schwaben, der Argentinier wurde zur Legende. Ein rüstiger Rentner aus Oeffingen war als Rennmechaniker ganz nah dran am Geschehen und nicht unmaßgeblich am Erfolg von Mercedes beteiligt: Josef Egetemeir - damals kannten ihn alle nur als ,das Raketle" -, feiert heute seinen 85. Geburtstag. Das Raketle startete schon in jungen Jahren durch - allerdings nicht im Motorsport. Der junge Sepp, geboren in Zöbingen auf der Ostalb - dem ,Schwäbisch Sibirien", wie er es nennt -, hatte ganz andere Sorgen.
Die Jugendjahre Josef Egetemeir sollte eigentlich die Schneiderei seines Vaters übernehmen. Nach fünf Wochen in der Lehre war jedoch Schluss. Und das, obwohl er viel Lob bekam vom Vater. ,Das Schneidern hat nicht in mir gesteckt", sagt Egetemeir heute. Der 15-Jährige ging bei einem Huf- und Wagenschmied in die Lehre. ,Mein Vater hat fast einen Salto geschlagen." Nach drei Jahren zog's Josef Egetemeir als Gesellen nach Stuttgart, nach kurzer Zeit heuerte er beim Daimler an. Zunächst am Band, später wechselte er in die lukrativere Nacharbeitung. ,Damals wurden die Autos auf der Strecke zwischen Bad Cannstatt und Untertürkheim eingefahren." Im September 1939 war damit Schluss: Der zweite Weltkrieg begann.
Die Kriegsjahre Als 19-Jähriger hätte Egetemeir eigentlich einrücken müssen. Er hatte jedoch das Glück, dass ihn sein Chef unbedingt behalten wollte. Der schickte ihn in die Lehre als Flugmotorenschlosser. 1943 gab's jedoch auch für ihn kein Entrinnen mehr aus dem Krieg. Aus den Standorten Wolfenbüttel und Zimmern wurde er noch zweimal kurz zurückbeordert zum Daimler, 1945 wurde Egetemeir nach Bregenz zur Gebirgsjägereinheit einberufen. Auf dem Weg nach Ungarn geriet der Oeffinger in italienische Gefangenschaft - und arbeitete dort als Schmied. ,Ich musste die Mulis der Italiener beschlagen." Im Herbst 1945 ging's weiter in die bosnischen Berge. Dort musste Egetemeir die kriegsbeschädigten Autos wieder flott kriegen. Bei Sarajewo erwischte es ihn: Ruhr und Typhus setzten ihm ordentlich zu. ,Ich war zum Skelett abgemagert, sie legten mich in eine Kiste, in der normalerweise die Toten abtransportiert wurden. Ich dachte, es geht vorüber." Ein Sanitäter besorgte Medikamente, er kam wieder einigermaßen auf die Beine. In einer Reparaturwerkstatt beschäftigte sich Egetemeir anschließend mit Hebebühnen für Brücken, erst 1948 ging's wieder in die Heimat.
An der Seite der Legenden Egetemeir fing wieder beim Daimler an, seine alte Abteilung freilich existierte nicht mehr. Er arbeitete in der elektrischen Abteilung, kümmerte sich um die Motorenprüfstände. Als er irgendwann Wind davon bekam, dass Daimler eine Rennabteilung aufmachen will, ,war ich sofort Feuer und Flamme". In der Abteilung für Arbeiterfragen stellte er einen Antrag auf Versetzung, bekam den Job und arbeitete fortan mit großen Rennfahrern wie Juan Manuel Fangio, dem Engländer Stirling Moss, Karl Kling, Hermann Lang und Hans Herrmann zusammen.
Feuertaufe: Panamericana Schon im ersten Rennen war Egetemeir mit dabei. Über 3 000 Kilometer mussten die Rennwagen 1952 bei der Carrera Panamericana, die zum dritten Mal ausgetragen wurde, in Mexiko bewältigen - und standen vor einem Problem. Die Autos mussten den rund 3 000 Meter hohen Rio Frio überwinden. Und da, so die Befürchtung, würde den Silberpfeilen die Puste ausgehen. Egetemeir entwickelte zusammen mit Bosch eine zusätzliche Kraftstoffpumpe, die die Motoren über den Berg ziehen sollte. Zum Einsatz kam sie aber nicht, Mercedes setzte bessere Motoren ein. Der Rio Frio war nicht das einzige Hindernis für die drei 300 SL. Einen mächtigen Schrecken bekam Karl Kling, als ein Greifvogel bei voller Fahrt die Windschutzscheibe durchschlug und Beifahrer Hans Klenk am Kopf verletzte. Abends montierten Egetemeir und seine Kollegen Gitterstäbe vor die Scheibe. Egetemeir betreute während der Panamericana die Wagen vom Depot in Durango aus. An eine Nachtschicht erinnert er sich besonders gut. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit fuhr Kling vor und bemängelte das Schleifen der Kupplung. Die Mechaniker beschlossen, das gesamte Getriebe auszubauen. Zu allem Unglück kollabierte auch noch der Wagenheber und demolierte das Umlenkgestänge. Damit war die Nacht gelaufen, am nächsten Morgen stand schon die nächste Etappe an. Für Mercedes wurde die Panamericana übrigens zum Triumph: Karl Kling gewann vor Hermann Lang. Auch abseits der Werkstatt erlebte Egetemeir in Durango einiges. Als er eines Abends in einem Lokal essen gehen wollte, klappte die Verständigung mit dem Kellner überhaupt nicht. Ein Amerikaner mit mexikanischem Pass lud ihn ein - und wollte ihn gar nicht mehr gehen lassen. ,Er hatte einen Autoimport, ich sollte für ihn arbeiten." Er habe das Angebot aber dankend abgelehnt. Vier Wochen dauerte die Rückreise mit dem Schiff, und am Zielhafen in Genua folgte das nächste Abenteuer. Die Hafenarbeiter streikten. Wie sollten die Container verladen werden? Das Team stand unter Druck, schließlich musste es zum nächsten Rennen. Die Stuttgarter organisierten kurzerhand ein Pferdefuhrwerk. Und wer nahm die Zügel? Natürlich der Mann vom Fach, Schmied ,Raketle" Egetemeir.
Das erste Formel-1-Rennen Beim ersten Einsatz der Silberpfeile beim Großen Preis von Frankreich holte sich Mercedes mit Fangio und Kling gleich den Doppelsieg. Dabei hatte es vor dem Rennen ernste Bedenken gegeben, erinnert sich Egetemeir. ,Direktor Uhlenhaut befürchtete, dass auf dem schnellen Kurs der Spritverbrauch zu hoch sein und der Tank nicht reichen würde." Also fuhr er nach Untertürkheim zurück und ließ Zusatztanks bauen. In einer Nachtschicht wurden die Tanks gerade noch rechtzeitig eingebaut.
Hilfestellung für den Chef Beim zweiten Rennen im englischen Silverstone war Egetemeir nicht dabei, weil er im Werk beschäftigt war. Nicht vergessen wird er den 1. August 1954, das Rennen auf dem Nürburgring. Karl Kling kümmerte sich nicht um die Stallorder und hetzte den Markenkollegen Juan Manuel Fangio. Professor Fritz Nallinger, einer der Verantwortlichen, habe getobt. Auf der Gegengeraden wollte er Kling seinen Unmut signalisieren. Allerdings sah der etwas zu klein geratene Professor nicht über den Bretterzaun. Egetemeir eilte zur Hilfe und hob ihn ein Stück in die Höhe. Später verarbeitete Egetemeir die Szene - wie viele seiner Erlebnisse - in einem Gedicht: ,Ich guck zum Professor und betracht mir sei Anatomie und schnapp ihn mir einfach zwischen seim Bopser und seine Knie. Fast hätt' ich ihn über den Bretterzaun gschoba, seine Faust war bereits halbhoch und er war schon am Toba . . ." Fangio siegte, Kling wurde nach technischen Problemen nur Vierter.
Das Ende des Motorsports 1955 beendete Mercedes sein Engagement im Rennsport. Wohl auch, so vermutet's Josef Egetemeir, unter Einwirkung des schweren Unfalls von Le Mans, bei dem 80 Menschen starben. Bis zur Rente im Jahr 1983 arbeitete er bei Daimler. Anschließend half er seinem Sohn, ein eigenes Unternehmen aufzubauen, und arbeitete lange mit in der Firma. Vor vier Jahren musste das Raketle einen gesundheitlichen Rückschlag wegstecken. Ein Tumor war im Kopf vermutet worden, er wurde operiert. ,Für die Bestrahlung haben die mir fast alle Zähne rausgerissen." Nur am Tag vor dem Gespräch mit dem Pressemenschen hatte Egetemeir wieder eine anstrengende Sitzung beim Zahnarzt. ,Ich hatte schon Angst, dass ich nicht richtig reden kann." Seine Frau indes hat keine Bedenken. ,Auch das schafft er", sagte sie. ,Er ist eine Stehaufmännchen."Ein Raketle, das auch mit 85 Jahren noch mächtig Schubkraft hat.
Die Erinnerungen an die glorreiche Zeit der Silberpfeile sind noch frisch bei Josef Egetemeir. In weißen Overalls standen die Mercedes-Mechaniker an den Boxen (kleines Bild links). Egetemeir erlebte etliche Abenteuer. Als die Mercedes-Mannschaft auf dem Hafen in Genua ankam (Bild unten), streikten die Hafenarbeiter. Mit Hilfe eines Pferdefuhrwerks luden die Stuttgarter die Container mit den Fahrzeugen ab. An den Zügeln saß Josef Egetemeir. Das große Bild zeigt den Start beim Großen Preis von Frankreich in Reims, dem ersten Formel-1-Rennen der Silberpfeile 1954. Ganz links am Bildrand ist Josef Egetemeir zu erkennen. In der ersten Startreihe stehen Juan Manuel Fangio (Nummer 18), der spätere Sieger, und Karl Kling (20), der Zweite. In der dritten Startreihe mit der Nummer 22 der dritte Silberpfeil mit Hans Herrmann.
Quelle: Rems-Murr-Sport, 13.01.2005 Autor: Thomas Wagner (Bilder: Ralph Steinemann/privat)
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