Von außen betrachtet ist an der Honda nichts Besonderes. Nichts Respekt Einflößendes, was diesen Vergleich in jeglicher Form rechtfertigen würde. Okay, sie ist ein tolles Motorrad, preiswert, zuverlässig, eine richtige Spaßmaschine eben. Die KTM ist dagegen schon fast eine Waffe. Der LC4-Motor hat Druck in allen Lagen, das White-Power-Fahrwerk hat fast schon Wettbewerbscharakter und die Ausstattung ist von Feinsten. Aber hallo, spätestens beim Druck auf den Startknopf der Honda werden Kenner skeptisch. Entweder ist die Batterie leer oder etwas stimmt mit dem Motor nicht. Der Anlassermotor muss richtig arbeiten, um gegen Kompression anzukommen. Gut, lüften wir das Geheimnis: Anstatt ein 100er Kölbchen mit einer Verdichtung von 8,3 stampft im Egu-Einzylinder des schwäbischen Tuners ein 104-Millimeter Schmiedekolben und die Verdichtung wurde auf 11 erhöht. Satte 696 Kubikzentimeter – 52 mehr als in Serie und 71 mehr als bei der KTM. Die KTM hat mit der 101er Bohrung und Verdichtung 11,7 zwar auch einiges zu bewegen, aber ihr Anlasser ist schon von Haus aus kräftiger. Aber zurück zur Honda. Allzu viele Startversuche bleiben also nicht, bevor die Batterie schlapp macht. Drei, vier Mal mit dem Mikuni-Flachschieber-Vergaser einspritzen, wohldosierter Chokeeinsatz und der große Single beginnt zu stampfen. Ein herrlich dumpfer Sound entweicht den großvolumigen Schalldämpfern der FMX. Die Edelstahl-Doppelrohr-Anlage mit herausnehmbarem db-Killer wurde komplett mit Leistungskrümmer auf dem Prüfstand verwirklicht und das Ergebnis kann sich sehen lassen. Die strömungsgünstigen Übergänge der Querschnitte zeugen von sorgfältiger Arbeit und Gewicht spart das Tuningteil mit Prüfzeichen auch noch. Einmal in Bewegung hält die Egu-Honda nichts mehr auf. Schon bei 3500/min liegen 60 Newtonmeter Drehmoment an. Kein Wunder, dass die 696er mit verstärkten Kupplungsfedern ausgerüstet werden musste. Nach ein paar gemütlichen Minuten im unteren Drehzahlbereich gibt das praktische Ölthermometer den Befehl zum Angriff und über 53 Pferde stürmen los. Hier kommt die Kavallerie – aber richtig. Mit einer ordentlichen Portion Hafer zieht die Honda wie ein Strich aus dem tiefsten Drehzahlkeller. Lochfrei dreht der Motor bis in die höchsten Regionen, der richtige Schub hält aber nur bis 5000/min an. Dann geht`s zwar immer noch flott voran, aber den richtigen Bums hat der Motor von unten. Bis in den dritten Gang hebt die FMX beim bloßen Beschleunigen das Vorderrad in die Luft. Es dauert ein paar Kehren, bis man sich daran gewöhnt hat, schon einen Gang höher in die Kurve zu fahren, um am Kurvenausgang ohne zu schalten richtig beschleunigen zu können. Mit dem handlichen Serienfahrwerk macht es richtig Spaß, die Honda durch die Serpentinen zu jagen. Die Sitzposition ist herrlich entspannt, Motor und Getriebe arbeiten vorbildlich. Bei Ortsdurchfahrten läuft die Honda ohne zu mucken im fünften Gang mit 50 Stundenkilometern den Autos hinterher, um am Ortsschild wieder voll aufzudrehen. Die Schwungmasse der Kurbellwelle blieb absichtlich unverändert. Die 696er fährt einfach schön, bequem und vibrationsfrei. Sogar auf schnellen Etappen jenseits der Höchstgeschwindigkeit der Serien-FMX gibt es keinen Grund zur Klage. Bis zu 170 km/h verträgt das Fahrwerk locker und das Schönste dabei – selbst bei dem Tempo läuft das Motorrad sauber geradeaus und vibriert nicht. Dank Ölkühler bleibt die Motortemperatur auch bei solchen Volllastspielereien im grünen Bereich. Rechnerisch bedeutet die Geschwindigkeit rund 7500 Kurbelwellenumdrehungen pro Minute. Damit dies das Triebwerk nicht übel nimmt, wurden besondere Vorkehrungen getroffen: Das Motorgehäuse wurde ausgespindelt, die Kurbelwelle feingewuchtet und alles sorgfältigst montiert. Damit das Pleuel der höheren Belastung standhält, wurde das Auge ausgedreht und mit einer Buchse aus Gleitmetall versehen. Man kann sich darauf verlassen, dass der Motor nach der Leistungskur immer noch genauso zuverlässig ist wie zuvor. Schließlich bietet EGU diese Motorenbehandlung schon seit den 80er Jahren an – damals noch in der Honda XL, ohne Kat und Sekundärluftsystem. Das Sekundärluftsystem ist auch am getunten Motorrad erhalten geblieben, somit gibt es auch bei den zukünftigen Abgasuntersuchungen keine Schwierigkeiten. Auch die Österreicher haben einiges getan, um die gültigen Emissionsvorschriften einzuhalten. Für „Euro 2“ hat man der 640er ein Sekundärluft-System verpasst, das die Abgase im Auspuff nachverbrennt. Immerhin wurde bei der ganzen Entwicklungsarbeit auch gleich die offene Leistung homologiert, so dass 640er Supermoto-Fahrer nun legal mit eingetragenen 54 PS operieren dürfen. Dass auf dem Prüfstand rund 56 PS anliegen, ist zu vernachlässigen, auch das Drehmoment streut mit 63 Newtonmeter eher nach oben. Eigentlich führt sich die LC4 eher wie eine hochgezüchtete Supermoto an. Der Motor geht viel ruppiger zur Sache, trotz Ausgleichwelle vibriert der Einzylinder im gesamten Drehzahlbereich. Der Sound, der aus den beiden Schalldämpfern mit integrierten Katalysatoren kommt, ist nicht so schön dumpf wie bei der EGU-Honda. Das Fahrverhalten ist aber ganz anders als das der FMX. Schönes gemütliches Cruisen wie mit der Honda macht mit der KTM keinen Spaß. Im untertourigen Bereich beginnt der Motor sofort zu hacken und die Maschine wehrt sich förmlich gegen das langsame Tempo. Im Stadtverkehr kommt nicht so richtig Freude auf, außer das Ziel ist es, im Wheely von einer Ampel zur nächsten zu fahren. Außerdem fällt im Großstadtdschungel auch schnell der große Wendekreis auf, der die Begeisterung weiter trübt. Auf freier Wildbahn sieht es schon anders aus: Ob auf abgesperrtem Parkplatz oder kurvigen Landstraßen – hier kann die LC4 ihre Leistung ausspielen. Mit serienmäßiger 5-Zoll-Hinterradfelge und 160er Reifen bieten die KTM genügend Reserven für wilde Schräglagen. Auch im Supermoto-Stil kommt der Pilot nicht dem Lenker in die Quere, die Proportionen passen für Fahrer für Fahrer um die einsachtzig Körpergröße perfekt. Die Leistungsabgabe des Einzylinders ist klasse: Kraftvoll und konstant bis rund 6500/min lässt sich die 640er schön durch die Kurven ziehen. Erst darüber flacht das Drehmoment ab und der vehemente Vortrieb reißt ab. Mit dieser Leistungscharakteristik lassen sich natürlich auch die schönsten Wheelies fahren. Um der Honda davon zu fahren, ist aber ganz schön Einsatz gefragt. Das Fahrverhalten der KTM leidet unter der störrischen Gabel. Auf holprigem Untergrund neigt die Front zum Pendeln, dasselbe gilt auch bei Höchstgeschwindigkeit. Die Federelemente der „schwäbischen“ Japanerin sind zwar auch nicht perfekt, aber das harte Federbein geht eher auf Kosten des Komforts als der Fahrstabilität. Auch beim Handling geht der Punkt ganz klar an die Honda. Mit 87 Zentimeter Sitzhöhe liegt der Gesamtschwerpunkt tiefer als bei der KTM. Entsprechend einfach fällt die Honda in die Kurven, wobei der schmälere 150er Reifen auch eine Rolle spielt. Die KTM will es auf die harte Tour, zum Gondeln ist sie nicht gemacht. Auf der vergleichweise harten und schmalen Sitzbank muss die 640er in bester Supermoto-Manier in die Kurve gedrückt werden – erst dann macht das Fahren richtig Spaß. Klarer Fall und hartes Ergebnis: Alltagstauglichkeit, Tourentauglichkeit, einfach nur so schön Motorrad fahren – da ist die 696er EGU-Honda das bessere Motorrad. Viel gemütlicher, viel entspannter, ohne lästige Vibrationen und mit einem Motor, der im unteren wie im oberen Drehzahlbereich alles kann. Die KTM ist aber doch viel moderner, viel sportlicher und die Entwicklung ist auf dem neuesten Stand. Eben darum – aber wünscht man sich unter dem Deckmäntelchen der Sportlichkeit ein Motorrad, das so vibriert dass einem der Hintern einschläft? Im KTM-Prospekt ist in fast jedem Satz von der Rennstrecke die Rede. Da gehört die 640er Supermoto auch hin, auf der Straße hat man mit der Honda mehr Freude. Und der Champ im Straßencafè ist letztendlich nicht der, der auf der vermeintlich besseren Maschine ankommt – sondern der, der seinen Kaffee halten kann, ohne ihn zu verschütten.
Quelle: ENDURO 05/2006 Autor: Andreas Güldenfuß
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